L. Kenis u.a. (Hrsg.): The Transformation of the Christian Churches

Cover
Titel
The Transformation of the Christian Churches in Western Europe (1945-2000).


Herausgeber
Kenis, Leo; Billiet, Jaak; Pasture, Patrick
Reihe
KADOC Studies on Religion, Culture and Society 6
Erschienen
Leuven 2010: Leuven University Press
Anzahl Seiten
352 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Peter Van Dam, Neuere und neueste Geschichte, Vrije Universiteit Amsterdam

Wie haben sich die westeuropäischen christlichen Kirchen in der Nachkriegszeit verändert? Dieser Frage ist der vorliegende Tagungsband gewidmet, welcher die Beiträge einer 2002 in Leuven organisierten Konferenz präsentiert. Die siebzehn Beiträge, die in diesem Zusammenhang nicht einzeln diskutiert werden können, vermitteln eine anregende Zusammenschau der Forschung über Transformationsprozesse in religiösen Gemeinschaften. Diese Perspektive macht den Band bedeutsam, weil sie in der sich mit Religion befassenden Zeitgeschichte in den letzten Jahren eine wichtige Stellung eingenommen hat.

Obwohl das Thema des Bandes also aktuell ist, liegen acht Jahre zwischen der Konferenz und dieser Veröffentlichung ihrer Ergebnisse. Wer sich über den heutigen Forschungsstand informieren möchte, wird deshalb von dieser Publikation enttäuscht. Seit 2002 hat die Perspektive der Transformation gegenüber der früher vorherrschenden Betonung der Säkularisierung bei der Erforschung religiöser Traditionen in der Nachkriegszeit stark an Bedeutung gewonnen. Die daraus hervorgegangenen Forschungsergebnisse konnten in den Beiträgen dieses Bandes, die noch aus der Anfangszeit dieser Entwicklung stammen, selbstredend nicht berücksichtigt werden.

Auch an anderen Stellen hat der Band nicht von der langen Bearbeitungszeit profitiert. Obwohl nichts dagegen einzuwenden ist, die Beiträge abwechselnd auf Englisch oder Französisch aufzunehmen, hätten Abstracts in der jeweils anderen Sprache die bilinguale Verständigung erleichtern können. Es fragt sich sowieso, ob eine Übersetzung der nur vier enthaltenen französischsprachigen Beiträge der Einheitlichkeit und Zugänglichkeit nicht zugute gekommen wäre. Auch haben die Herausgeber leider kein Autorenverzeichnis auf genommen. Schliesslich unterlassen dieselben es in ihrer ambitionierten Einführung die nicht evidente Periodisierung und geographische Abgrenzung zu erläutern.

Dabei wird die proklamierte Periodisierung, 1945–2000, von den einzelnen Beiträgen sogar in Frage gestellt. Theologisch schloss die Nachkriegsgeschichte der Glaubensgemeinschaften, wie unter anderen die Beiträge von Étienne Fouilloux, Wilhelm Damberg, Patrick Pasture und Gerd-Rainer Horn bezeugen, nahtlos bei den Entwicklungen der Zwischenkriegszeit an; 1945 stellt in diesem Sinne keinen eindeutigen Bruch dar. Als eigentlicher Drehpunkt der Geschichte religiöser Gemeinschaften gelten vielen Beitragenden die sechziger Jahre. Vorangegangen von Hugh McLeod, der allerdings die Radikalität dieses Bruches zurecht hinterfragt, weisen vor allem die Beiträge von Philippe Chenaux, Jan Grootaers, André Birmelé und Joachim Schmiedl über das Zweite Vatikanische Konzil auf die grosse Bedeutung dieser Epoche hin. Die Aufnahme einer gesonderten Sektion über den Einfluss und die Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils neben Sektionen über Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der Religiosität und über «some basic issues in postwar church life» lässt bereits vermuten, dass die Bilanz zwischen katholischem und protestantischem oder gar freikirchlichem Raum eindeutig zugunsten des ersteren ausfällt.

Neben der in den letzten Jahren vorherrschenden Frage nach Transformation zeigen sich in dem Band bereits zwei weitere Forschungstendenzen, die sich in den letzten Jahren verstärkt hervortun. Erstens problematisieren Beiträge über Veränderungen im kirchlichen Raum – wie beispielsweise der von Lodewijk Winkeler über katholische Intellektuelle und von Liliane Voyé über Synkretismus – implizit eine Sicht der Kirchen als Hüter religiöser Traditionen. Kirchen haben zwar eine wichtige Rolle in der Deutung religiöser Traditionen gespielt, sie sind aber nicht eindeutig abzugrenzen. Gleichzeitig nehmen auch andere Gruppen und Organisationen von Glaubenden Einfluss auf die Entwicklung ihrer Traditionen. Religiöse Transformation ist also alles andere als eine innerkirchliche Angelegenheit.

Eine zweite Forschungsfrage wird von Anne-Marie Korte in einem Beitrag über weibliche religiöse Führung angesprochen. Sie distanziert sich von der in diesem Zusammenhang üblichen Perspektive eines Gegensatzes zwischen Modernität und Antimodernität, weil diese die langjährigere und vielseitige Auseinandersetzung um die Rolle der Frauen in der Kirche zuviel in den Hintergrund rücke. In der Tat ist zunehmend die Frage, inwiefern es sinnvoll ist die neueste Geschichte religiöser Traditionen anhand dieses Gegensatzes zu deuten. Es wäre wünschenswert, die Diskurse der Modernität und Antimodernität nicht nur bezüglich ihrer zeitgenössischen Verwendung, sondern auch bezüglich ihrer Rolle in der wissenschaftlichen Deutung stärker zu reflektieren.

Somit bietet dieser Band trotz seiner deutlichen Schwächen einen guten Überblick über den Stand der Forschung vor zehn Jahren, der auch den seitdem zurückgelegten Weg vor Augen führt. Die sich im Band vorsichtig abzeichnenden Forschungsperspektiven – Transformation statt einseitiger Säkularisierung, Problematisierung der Rolle der Kirchen innerhalb der Glaubensgemeinschaften und Reflektion der Begriffe Modernität und Antimodernität – haben sich seitdem stärker etablieren können, verdienen aber weiterhin die Aufmerksamkeit der Forschung. Damit bieten die zusammengeführten Beiträge Anknüpfungspunkte für künftige Forschung, sowie eine Gelegenheit, die Impulse und die Richtung der aktuellen Forschung der Transformation religiöser Traditionen vor dem Hintergrund des Forschungsstandes seit dem Anfang des Jahrtausends zu überdenken.

Zitierweise:
Peter van Dam: Rezension zu: Jaak Billiet/Leo Kenis/Patrick Pasture (Hg.), The transformation of the Christian churches in Western Europe 1945–2000, Leuven, Leuven University Press, 2010. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 105, 2011, S. 586-587.